Alternativen zu Urin in der Drogenanalytik
Speichel
Als Ultrafiltrat des Blutes könnte Speichel bzw. Mundflüssigkeit ein geeignetes Medium darstellen, um Missbrauchssubstanzen nachzuweisen. Und nicht nur das: Im Gegensatz zu Urin könnte Speichel auch Hinweise auf den Grad der aktullen Intoxikation liefern, was besonders bei Verkehrskontrollen von großemVorteil wäre. Niemand müsste dafür in einen Becher pinkeln oder gar seine Genitalien entblößen.
Jedoch gibt es hinsichtlich Speichel eine ganze Reihe von Problemen und unbeantworteten Fragen, die es zu bedenken gilt:
- Es muss davon ausgegangen werden, dass die Matrix Speichel von Proband zu Proband starken Schwankungen unterworfen ist. Die Speichelproduktion ist ein komplexer Prozess, bei dem anatiomisch/histologische Grundbedingungen eine Rolle spielen. Auch Faktoren wie Stress, Hunger oder zugrundeliegende systemische Erkrankungen beeinflussen Zusammensetzung und Konsistenz des Speichels. Dies macht eine Standardisierung des Verfahrens praktisch unmöglich.
- Unterschiedliche Substanzen finden auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Form ihren Weg in die Mundflüssigkeit. Cannabinoide sind z. B. nach einmaligem Gebrauch nur ca. 30 Minuten nachweisbar. Cocain und seine Metabolite zwar grundsätzlich wesentlich länger, aber deren Nachweiszeit wird durch den Genuss von Kaugummi oder gar Zitronenbonbons dramatisch beeinflusst (Halwachs 2011). Letzteres stellt die Theorie, dass Speichel nicht manipuliert werden könne, zumindest deutlich in Frage. Weitere Forschungsergebnisse stehen allerdings noch aus.
- Das bei der Probennahme gewonnene Speichelvolumen ist sehr gering. Daher wird der Speichelfluss stimuliert - häufig von den Speichelsammelsystemen selbst durch den Einsatz säurehaltiger Medien. Dies beeinflusst den pH-Wert der Probe und somit auch die gesuchten Substanzen und deren Nachweiszeiten. Hinzu kommt die Verwendung von Stabilisatoren für den Transport der Probe. Auch diese können die Analyse möglicherweise beeinflussen, jedoch sind weitere Untersuchungen in diesem Bereich dringend erforderlich.
- Die Stimulation des Speichelflusses selbst stellt einen Eingriff in die natürlichen Körperfunktionen dar, wodurch der Einsatz solcher Verfahren z. B. im Strafvollzug unzulässig wird. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter der Rubrik in Strafvollzug/Bewährungshilfe.
- Das geringe Probenvolumen macht hochempfindliche und somit teure Analyseverfahren erforderlich. Zwar werden auch Schnellteste auf dem Markt angeboten. Aber große, internationale Studien wie ROSITA oder DRUID konnten diese aufgrund der hohen Fehleranfälligkeit und der fehlenden Standards in Bezug auf Grenzwerte nicht empfehlen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Medium Speichel zwar großes Potenzial hat, jedoch längst noch nicht hinreichend erforscht ist, um es in der Praxis zu nutzen. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie in unserem Download-Bereich.
Kapillarblut
Als Kapillarblut wird jene Mischung aus Gewebeflüssigkeit und Blut bezeichnet, die durch Durchstechen von z. B. Fingerbeere oder Ohrläppchen gewonnen wird.
Die Matrix Blut ist gewiss gründlich erforscht. Allerdings handelt es sich bei Kapillarblut eben nicht um reines Blut, wodurch gewisse Probleme entstehen:
- Unterschiede bei der Analyse von Kapillarblut und beispielsweise venösem Serum oder Vollblut sind gut dokumentiert. So ist die Blutglukosemessung aus Kapillarblut für Diagnostik, Therapie und Nachsorge von Gestationsdiabetes seit 2011 nicht mehr zulässig. Auch Abweichungen bei der Blutgasanalyse wurden in vielen Studien festgestellt. Kapillarblut wird hier nicht empfohlen.
- Naturgemäß enthält Kapillarblut einen gewissen Anteil Gewebeflüssigkeit. Um diesen Anteil zu minimieren, ist der erste austretende Tropfen zu verwerfen. Jedoch ist es kaum möglich, den Anteil an Gewebeflüssigkeit zu quantifizieren.
- Verschärft wird diese Problematik durch die Stimulation der Einstichstelle. Dies darf grundsätzlich nur durch eine geeignete hyperämisierende Salbe oder auch Erwärmen erfolgen, da mechanische Stimulation wie Massage oder Drücken die Zusammensetzung der gewonnenen Probe weiter verändert.
- Hinzu kommt die Gefahr der Kontamination, da die Probennahme mittels Kapillarröhrchen kein geschlossenes System ist.
- Das äußerst geringe Probenvolumen schränkt die Reproduzierbarkeit der Analyse drastisch ein. Dadurch wird die Fehlerwahrscheinlichkeit signifikant erhöht.
- Es gilt zu beachten, dass das Sammeln der Kapillarblutprobe ebenfalls einen Eingriff in die natürlichen Körperfunktionen darstellt. Daher sind hier die gleichen rechtlichen Konsequenzen wie beim Speichel anwendbar.
Fazit
Auch hier ist abschließend festzustellen, dass die Matrix Kapillarblut als Alternative zu Urin für die Praxis noch nicht hinreichend erforscht ist. Es ist aus verschiedenen medizinischen Bereichen bekannt, dass beispielsweise Salben die Analyse beeinflussen können. Ob und wenn ja in welcher Weise dies auf Missbrauchssubstanzen Einfluss haben könnte, muss noch untersucht werden. Aber damit ist auch Kapillarblut nicht mehr über die Möglichkeit der Manipulation erhaben.
Die Unsicherheit bezüglich der o. g. Fragen scheint sich auch in den wissenschaftlichen Bemühungen zu spiegeln:
2014 stellten Böttcher, Rönitz und Dahmen die Ergebnisse einer Studie vor, deren Ziel die Überprüfung von Vollblut als alternative Matrix für die EtG-Bestimmung war. Man kam zu dem Schluss, dass Vollblut beim EtG-Nachweis eine mögliche Alternative zu Urin darstellt und "daher zukünftig evtl. auch als Kapillarblut gewonnen werden" könne.